Rostocker Sonderforschungsbereich entwickelt intelligentes Hüftimplantat

Franziska Geiger und Daniel Klüß (Copyright Universität Rostock/Joachim Mangler).
Franziska Geiger und Daniel Klüß (Copyright Universität Rostock/Joachim Mangler).
Hüftimplantat (Copyright Universität Rostock/Joachim Mangler).
Hüftimplantat (Copyright Universität Rostock/Joachim Mangler).

In Deutschland wurden im Jahr 2022 nach Angaben des Bundesamts für Statistik rund 255 000 Hüftendoprothesen implantiert. Diese Operation ist damit eine der häufigsten in den Kliniken Deutschlands. „Lebensqualität kommt zurück, nach einer Hüft-OP können die Menschen meist schon nach wenigen Tagen wieder gehen“, sagt PD Dr.-Ing. Daniel Klüß, Projektleiter im Sonderforschungsbereich 1270 ELektrisch Aktive ImplaNtatE – „ELAINE“ der Universität Rostock. Aber rund 30 000 dieser Operationen sind sogenannte Revisionen, also der Austausch ganzer Implantate oder von Komponenten, wenn sich zum Beispiel das Implantat nach mehreren Jahren Einsatz lockert. Ziel der interdisziplinären Arbeit an verschiedenen Instituten der Universität und Universitätsmedizin Rostock ist, diese hohe Zahl von Revisionen zu vermindern. Denn die Prognosen für das zweite Implantat sind schlechter als beim ersten Einsatz.

„An dieses Problem wollen wir mit einem intelligenten Implantat ran“, sagt der Biomechaniker Klüß. In dem Implantat der Zukunft werden verschiedene Messinstrumente integriert sein. „Das Implantat ist also mehr als ein Metallblock. Mit seinen neuen Details wollen wir auch messen und gleichzeitig Knochenwachstum stimulieren.“ Die Aufgabe der aktuellen Grundlagenforschung besteht darin herauszufinden, wo die verschiedenen Elemente platziert werden müssen.

Eines dieser Messinstrumente wird die Festigkeit des Implantats im Knochen registrieren. „Dazu wird eine magnetische Kugel in das Implantat integriert“, erklärt die Biomechanikerin Franziska Geiger. Diese Kugel wird mit einer elektromagnetischen Spule von außen so in Schwingung gesetzt, dass sie gegen das Implantat schlägt. Die in Rostock entwickelte Neuheit ist ein im Implantat integrierter Sensor, der anhand der Frequenzspektren herausfinden kann, ob sich das Implantat gelockert hat. „Das ist wie beim Zahnarzt. Auch der klopft leicht gegen einen Zahn und kann dann aufgrund des Tones sagen, ob er festen Halt hat oder nicht“, sagt Geiger.

Der Vorteil der Schallmessung im Implantat ist die Zuverlässigkeit. Denn die Messung von außen kann sich beispielsweise durch eine Gewichtszunahme eines Menschen verändern und Ergebnisse können missinterpretiert werden. „Direkt am Implantat haben wir die Informationen quasi aus erster Hand“, betont Geiger.

Die elektrische Versorgung des Systems erfolgt durch ein sogenanntes Piezoelement. Hintergrund des piezoelektrischen Effekts ist, dass beim Verformen des Implantats im Knochen elektrische Spannungen in geringer Stärke entstehen. Doch die Energie reicht aus, um die implantierte Mikroelektronik mit ausreichend Strom zu versorgen.

Ein lockeres Implantat bedeutet, dass sich die Zahl der Knochenzellen rund um das Implantat verringert hat. Das Piezoelement hat noch weitere Aufgaben: „Der piezoelektrische Effekt sorgt dafür, dass Zellen zum Wachstum angeregt werden“, sagt Klüß. Das ist ein natürlicher Vorgang und wichtiger Schlüsselfaktor beim ständigen Knochenumbau. Ziel der Forschungen ist, über das Piezoelement die Knochenzellen so zur Teilung zu stimulieren, dass der Knochen rund um das Implantat wieder zuwächst und einen festen Halt vermittelt.

Die Messinstrumente im Implantat können aber noch viel mehr: „Sie können uns mitteilen, was der Patient macht und ob er sich genügend bewegt“, sagt Klüß. Denn die Mitwirkung der Patienten ist bei der Therapie von immenser Bedeutung. Bewegung ist der Schlüssel zum Erfolg. „Der Patient muss mitmachen und seinen Bewegungsapparat am Laufen halten, damit das physiologische System nicht einrostet.“ Mit solchen Daten könne auch die Therapie besser geplant werden, sie dienten aber auch zur Selbstkontrolle.

Hintergrundinformation zu Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“

Im Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“ der Universität Rostock arbeiten derzeit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem an der Universität und der Universitätsmedizin Rostock. Sie erforschen unter anderem, wie mit elektrisch aktiven Implantaten Knochen und Knorpel bei Defekten zur Regeneration angeregt werden können. Auch die sogenannte Tiefe Hirnstimulation zur Therapie von Parkinson gehört zum Forschungsportfolio des Sonderforschungsbereichs, der seit 2017 tätig ist und sich derzeit in der zweiten Förderperiode bis 2025 befindet.

Wie die Sprecherin von „ELAINE“, die Elektrotechnikerin Prof. Dr. Ursula van Rienen, erläutert, gehört zu den bisherigen Erfolgen unter anderem die Entwicklung der miniaturisierten Stimulationseinheit STELLA. „Diese Einheit in der Größe einer Zwei-Cent-Münze kann von außen mit verschiedenen Stimulationsmustern gesteuert werden“.

Neben den Fortschritten in der Wissenschaft sei die Grundlagenforschung auch für die Wirtschaft essentiell, betont van Rienen. Bei Bewilligung einer dritten Förderperiode bis 2029 von „ELAINE“ hätte die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG diese Spitzenforschung mit rund 45 Millionen Euro gefördert. Diese Mittel kämen insbesondere dem wissenschaftlichen Nachwuchs zugute.

Der Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“ zeichnet sich laut van Rienen durch eine hohe Interdisziplinarität aus. In ihm sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Elektrotechnik, Informatik, Mathematik, Maschinenbau, Zellbiologie, Biochemie und der Medizin tätig. Neben Rostock sind die Universitäten und Hochschulen in Greifswald, Leipzig, Nürnberg-Erlangen, Mainz und Wismar an „ELAINE“ beteiligt.

Kontakt:
Dr. Paula Friedrichs
Gesamtkoordination SFB 1270 ELAINE
Universität Rostock Institut für Allgemeine Elektrotechnik
Tel.: +49 381 498-7082
paula.friedrichs2uni-rostockde


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